Meinem Buch zufolge
würden wir heute eines der härtesten Stücke des ganzen Jakobsweges laufen. Für
Allan und mich sind solche Tage aufgrund unserer Blasen echt anstrengend. Heute würde es 18 Km am Stück durch die Meseta
gehen. Ohne Schatten, ohne Alles. Insgesamt hatten wir aber nur 25 Km vor uns
und es war sehr bewölkt. Als wir aufbrachen, sahen wir, dass es in der Nacht
geregnet hatte und es schien so, als könnte es gleich wieder anfangen. Es war
total diesig und wir konnten nicht einmal die Kirchturmspitze sehen. Wir hatten
echt Angst, in unsere Wanderstiefel gezwungen zu werden. Mit meiner offenen
Ferse wäre das der absolute Horror und masochistisch. Zwar hat sich
mittlerweile ein bisschen Haut gebildet, aber die Wunde ist immer noch sehr
schmerzempfindlich.
Wir zogen uns nach
300 Metern mehr Klamotten an, weil es so kalt war, dass wir froren. Wir
beschlossen, mit den Stiefeln bis zu allerletzten Sekunde zu warten. Wir
verließen den Ort in Richtung Nichts.
Jeder stapfte in
seinem Tempo über die Steine und hörte Musik. Glücklicherweise hatte ich noch
ein paar Folgen TKKG auf dem Handy. Ich hätte mal ein gutes Hörspiel
draufziehen sollen, hatte mein Handy aber nicht dafür vorbereitet, wollte ich
doch ohne Musik und Berieselung laufen und der Erleuchtung ihre Chance geben.
Am ersten Rastplatz zog ich das erste Mal seit Ewigkeiten wieder eine lange Unterhose unter die Wanderhose, so kalt war es heute. Ich lief schon mit der Regenjacke über meiner normalen Jacke und mit Handschuhen. Aber da die festen Schuhe fehlten und die Crocs viele Löcher haben, habe ich natürlich kalte Füße. Und eine Frau mit kalten Füßen friert nunmal.
Wir liefen weiter
und ganz so schlimm wie befürchtet war der Marsch durch die Meseta nicht.
Nun gut, wir hatten
keine Hitze, keine Viecher um uns fliegen und schwitzten nicht. Heute sah man
kilometerweit den Weg vor sich und nichts Anderes. Es ist schwer einzuschätzen,
wie viel Weg man noch vor sich hat, aber in meinem Buch gab es einige Anhaltspunkte,
um zu wissen, wo man ist (manch einer läuft gern, ohne genau zu wissen, wie
weit man noch laufen muss, ich mag diese Gewissheit und bin dankbar für die
genauen Angaben).
So wusste ich, dass
es vom Fluss aus, den man schon lange vorher durch den Baumbewuchs am Ufer
ausmachen konnte, noch 10,6 Km zur Herberge waren. Kurz vor dem Fluss gab es
einen netten Rastplatz, an dem ich auf Allan und Hogy wartete. Dort schliefen
wir erst einmal gut 45 Minuten. Es war ein bisschen frisch, aber der Schlaf
umso erfrischender.
Als wir
weiterliefen, setzte ich mich wieder an die Spitze ab. Am Anfang liefen die
Jungs oft schneller als ich, aber mittlerweile hat jeder sein Komforttempo
gefunden und meines liegt Philippe zufolge zwischen 6 und 7 Km/h. Ganz schön
zackig, aber die Blasen tun kaum noch weh und schon gar nicht weniger, wenn ich
langsamer gehe.
Irgendwann rannte
eine Frau an uns vorbei und die war kreidebleich. Ich dachte, sie hätte zu viel
Sonnencreme aufgetragen, aber bei dem Wetter?! Wir hatten sie in Burgos in der
Herberge gesehen, aber nicht mit ihr gesprochen.
Mein rechter Fuß
sieht sehr interessant aus: Die Ferse ist großzügig abgeklebt, damit das Tape
hält. Auf der Blase ist ein Stück alubedampfte Wundauflage (die klebt nicht an
der Wunde fest, falls sie nässen sollte). Am großen Zeh habe ich eine Reihe
kleiner und offener Blasen, die ich auch mit der Auflage abdeckte und so wurde
er komplett getaped. Die Blase am Fußballen behandelte ich mit einem Stückchen
Verband (da hatte ich eine Hornhautblase und keine offene Wunde) und klebte das
Tape um den ganzen Fuß, um den Druck zu verteilen. So spüre ich die Blase beim
Laufen fast gar nicht (obwohl die Blase an sich empfindlich) ist.
Pilgerbrunnen mit "Muschelbecken" |
Die Crocs sind eine
echte Wohltat, da die Ferse frei liegt und die Teile echt gemütlich sind.
Angenehmer sind dennoch die Stiefel wegen ihrer festen Sohle. Nachdem wir das
"harte Mesetastück" hinter uns gebracht hatten liefen wir durch einen
Ort und von da aus die letzten 6,6 Km zur Herberge. Dies war wieder eine der
Strecken, bei denen der Ort plötzlich hinter einer Kurve auftauchen musste,
denn wir sahen vor uns nichts. Auch nicht, als wir wussten, dass es nicht mehr
weiter als 1 Km sein konnte. Da liefen wir auf der Straße eine Kurve in ein
Tal. Nichts.
Wir liefen in der
Hoffnung auf den Ort um die nächste Kurve. Nichts.
Noch eine Kurve.
Nichts.
Wir konnten am
Horizont einen Ort ausmachen, aber da wollten wir erst morgen hin. Hinter einer
weiteren Kurve erschien dann endlich der Ort.
In der Herberge
trafen wir auch die Frau wieder, eine Amerikanerin, von der wir hörten, dass
sie heute über 40 Km gelaufen sei, dabei hatte sie in Burgos wohl schon starke
Fußschmerzen. Ich wüsste wirklich gern, was die Leute reizt, ihre Gesundheit
dermaßen aufs Spiel zu setzen. An Langzeitfolgen denkt hier wohl niemand.
Als ich abends mit
Allan das Fußbad in der dazugehörigen Bar machte, guckten die Leute etwas
seltsam, aber die Bar war der einzig geheizte Raum im gesamten Gebäudekomplex,
also setzen wir uns dahin und tranken ein Bier. Allan erzählte, dass die
Amerikanerin wohl über die Route Napoleon (die gesperrte Etappe über die
Pyrenäen) gelaufen sei. Der Weg ist im Winter nicht ohne Grund gesperrt, es gab
hier schon einige Todesfälle, weil die Leute es oft besser zu wissen meinen als
die Anwohner, sich überschätzen und manchmal gar keinen Schnee aus ihren
Ländern kennen. Wenn man schlechte Sicht hat, die Wegweiser zugeschneit sind
und man die Orientierung verliert, kann das böse enden.
Auch sie sei wohl
fast draufgegangen und hätte noch eine Schutzhütte gefunden, wo sie die Nacht
verbrachte. Am Morgen seien ihre Klamotten und das Trinkwasser gefroren
gewesen.
Allan fand, sie sei
ein Champion, weil sie es überlebt hatte, ich fand, es war eine dumme und
leichtsinnige Aktion und sicher nichts, womit man prahlen sollte. Eine Woche
nach unserem Start ist ein Brasilianer bei dem Versuch, auch über die Route
Napoleon zu laufen, gestorben.
Sie hatte einfach
verdammtes Glück (oder Bewahrung von höchster Stelle erlebt) und eine gute
Ausrüstung. Ich hätte mich niemals getraut, zu schlafen, wenn alles um mich
herum einfriert. Was mag ein Mensch wohl durch solche Aktionen suchen? Die
absolute Grenzerfahrung?
Außerdem reist sie
ohne Geld bzw. zahlt nicht gern und lässt sich von den anderen Pilgern
aushalten, wenn sie nicht umsonst in die Herberge kommt. Heute hat einer der
Männer für sie gezahlt.
Wenn man sie fragt,
warum sie 40 Km am Stück oder die Route Napoleon läuft, guckt die komisch und
redet wirr. Vielleicht weiß sie es selbst nicht. Ich hoffe, sie findet, was
auch immer sie suchen mag und nicht Krankheit oder Tod.
Das gesunde Menschen
auf der Pilgerreise sterben, ist doch absolut sinnlos!
Heute waren die
Duschen und Toiletten Outdoor und das bei diesem Wetter. Einfach im Hof mit
Türen, wo es unten und oben zieht. Gegessen habe ich heute wieder Reis mit
Gewürzgurken, Paprika und Käse. Ganz okay, aber jetzt hab ich auch erst einmal
wieder genug von Reis.
Der Fußkranke
Australier Andy ist übrigens auch wieder da. Er wollte ja ein paar Tage
aussetzen, wegen des bösen Hustens und weil er kaum noch laufen konnte. Er ist
am Tag danach aber weitergelaufen und hat zu uns aufgeschlossen. Er muss also
wieder knappe 40 Km gelaufen sein, schlief aber bei unserer Ankunft und konnte
wohl immer noch nicht wieder richtig laufen.
Der Husten ist
jedenfalls weniger geworden, er hatte sich offenbar nicht beim seltsamen
Deutschen aus Atapuerca angesteckt, was uns alle sehr beruhigte. Trotzdem war
ich froh, ein Bett auf der anderen Seite der Trennwand bekommen zu haben.
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