Freitag, 1. März 2013

1. März- Boadilla del Camino (ca. 30 Km)

(Achtung, durchs Schaltjahr 2012 gibt es einen Eintrag vom 29.2.!)

Nach einem Haufen absolut kurioser Träume bin ich heute früh aufgewacht und musste mich erst einmal organisieren. War ich wirklich beinahe von einem Nashorn getötet worden? Hatte Alex das tatsächlich schon auf youtube gesehen, als ich es ihr etwa eine Stunde danach erzählen wollte?
Sind wir wirklich an der Ostsee entlanggepilgert und wollten in dem Wohnwagen meiner Eltern schlafen?
Ich beschloss, dass Beides unlogisch klang, nicht passiert sein konnte und stand auf.
Etwas konfus packte ich meine Sachen, heute mal ohne alles ordentlich zu falten und zu rollen und im Rucksack zu verstauen. Ich stopfte einfach alles irgendwie rein und ging in die Küche, um zu frühstücken. Hogy hatte dort gerade ausgerechnet, dass es doch knapp 30 Km zu laufen waren. Ich rechnete auch noch einmal nach und tatsächlich, ich hatte mich gestern nicht vertan.
Da meine Blase an der Ferse gestern auf dem Weg so gewachsen ist, dass sie aus dem Compeedbereich herausquoll, musste ich ein neues Pflaster aufkleben. Gestern hatte ich die Blase geöffnet und hoffe, dass sie jetzt nicht weiter wächst, sondern verheilt.
Zudem tapete (also mit Tape abkleben, keine Tapete für die Wand) ich alle 10 Zehen, weil alle rot waren und teilweise kleine Blasen aufwiesen. 
 
Die ersten Km auf dem Weg waren wieder sehr unangenehm, aber irgendwann hat man sich eingelaufen. Als wir die ersten 10 Km hinter uns hatten, trafen wir Dalvo im Ort. Andy hatte einen starken Husten bekommen und fühlte sich krank (hatte er sich bei dem seltsamen Deutschen angesteckt?). Er würde ein paar Tage im Ort bleiben. Seine Füße und Bänder werden es ihm danken. Seine Achillessehne war seit Tagen sehr empfindlich, aber er ignorierte es und wollte auf keinen Fall zu einem Arzt gehen, um es untersuchen zu lassen.
Im Ort entdeckten wir ein Geschäft für Wanderkram und Allan kaufte sich Sandalen, denn in seinen Stiefeln hielt er es nicht mehr aus. Ich kaufte mir ein T- Shirt, denn in meinen Langarmshirts halte ich es bei den immer höheren Temperaturen auch nicht mehr aus. Auch ich wäre gern auf Sandalen umgestiegen, aber die Stiefel waren so teuer, dass ich sie jetzt nicht entsorgen konnte und zu schwer, um sie dauerhaft auf dem Rücken zu tragen und Sandalen kosten hier immerhin auch mindestens 40€.

Der Weg zog sich wieder endlos hin und wir kamen zu einem steilen Berg, den wir hochlaufen mussten. Über 1200 Meter ging es stramm nach oben, aber dort angekommen, wartete ein großer Rastplatz mit toller Aussicht auf uns. Danach ging es noch 10 Km weiter bis zur Herberge und diese kamen uns vor wie 20 Km.
Vor den letzten 4 Km kam noch ein recht hoher Hügel und ich frage mich, wo die flache Seite der Meseta bleibt. Es wurde so warm, dass ich kurzerhand mitten auf dem Weg (es war ja keiner da, die Jungs liefen vor mir) mein neues T- Shirt anzog, es war einfach zu warm im langärmligen Shirt.
Die Wettervorhersage vor dem Start versprach Höchsttemperaturen von 8°C und jetzt haben wir über 20… Aber natürlich freut uns das!
Auch gab es hier wieder diese mistigen Minifliegen, die gern in Mund, Augen und Nase fliegen, aber es war nicht ganz so schlimm wie gestern. Nerven tun sie trotzdem.
Altes Pilgerhospital
Irgendwann machte ich am Horizont so etwas wie ein Haus aus und hoffte, dass dies unser Ziel war. Oder waren es doch nur Bäume? Vielleicht sehe ich nach all den Laufstrapazen und in der Hitze Fata Morganas? Oder bilde ich mir Häuser ein, um ein Ende ausmachen zu können?
Es schienen wirklich Häuser zu sein und beflügelt von der Hoffnung zog ich unbewusst mein Tempo an.
Ich setzte mich von den Jungs ab und schaltete meine Handymusik an. Ich kann mich durch die Schmerzen und wegen der vielen Steine auf dem Weg ohnehin nicht auf die Erleuchtung konzentrieren, da kann ich auch Musik hören, um mich abzulenken. Damit läuft es sich auch gleich viel leichter.

Als ich mit Hogy im Ort ankam, gingen wir schon voraus in die Herberge, denn Allan war ein ganzes Stück hinter uns und ich musste dringend sitzen und aus den Stiefeln raus. Wir merkten gleich, dass dies eine besondere Herberge war. Normalerweise bekommt man sofort den Stempel und muss zahlen. Hier wurden wir von Serafin, dem Besitzer des Hauses, begrüßt und gefragt, wie es uns geht, wie wir heißen und was wir brauchen. Er ist den Weg selbst 3x gelaufen und hat diese Herberge eröffnet, weil im Winter so wenig Herbergen geöffnet sind, dass man sonst noch 6 Km weiterlaufen müsste. Wie dankbar waren wir, dass wir das nicht mussten!
Die Albuerge ist sein eigenes Haus, er wohnt hier und wir konnten alle im Wohnzimmer sitzen, es gab einen hübschen Garten und einen Ofen im Haus.
Aber das Highlight war: Bettdecken! Mit frischen Bezügen und richtig kuschelig warm. Das wird eine gute Nacht! Der Schlafraum war durch hübsche Wände getrennt, so dass immer nur ein Etagenbett in einer Nische stand und dazu gab es kleine Kommoden. Da wir so wenig Leute waren, konnte jeder eine eigene Nische und das untere Bett in Besitz nehmen. Serafin fragte, ob noch jemand kommen würde und wir berichteten, dass Allan gleich kommen müsste. Er fragte das deshalb, weil der Letzte, der am Tag ankommt, das Einzelzimmer bekommt. Er sagt, wer zuletzt ankommt, hat oft die größten Probleme und darf bei ihm dann den Luxus eines Einzelzimmers genießen.

Als ich duschen gehen wollte, merkte ich, dass mein Handtuch nicht da war. Ich muss es in Hontanas vergessen haben. Mist, das Ding hat 15€ gekostet. Das kommt davon, wenn man seine Gewohnheiten, den Rucksack ordentlich zu packen, vernachlässigt. Das wäre mir sonst nicht passiert.
Ich fragte Serafin, ob er ein Handtuch da hätte, das ich heute nutzen könnte und er schenkte mir ein superleichtes Reisehandtuch. Was für ein Glück! Das Handtuch war zwar nicht neu und es hatte sicher irgendwann ein anderer Pilger vergessen, aber ich bin froh, dass es hier gelagert wurde und vielleicht kann irgendwann jemand mal von meinem vergessenen Handtuch profitieren. Als Dankeschön soll ich eine Postkarte aus Santiago senden- Das werde ich doch gerne tun.

Heute kochten wir alle zusammen, bzw. Philippe und Patrick kochten für die Meute. Serafin hat einen vollen Kühlschrank und bietet gegen Aufpreis an, dass man sich daran bedient. Wir nahmen das Angebot gern an. Allan und ich konnten nicht helfen, weil uns die Blasenlehrstunde bevorstand. Serafin setzte sich mit uns aufs Sofa und erklärte, dass Compeed an sich etwas Gutes sei, wenn man nur ein paar Tage unterwegs ist. Bei einer mehrwöchigen Tour ist es aber nicht empfehlenswert, weil die Blasen nicht richtig verheilen können, wenn man sie dauerhaft abklebt. Außerdem können so eventuelle Infektionen (und die hat man ja schnell) nicht verheilen.
Er sagte, dass die beste Behandlung und Desinfektion ein Fußbad in warmem Wasser mit Salz und Essig wäre. Am Tag sollen die Blasen nur abgeklebt werden, um sie zu schützen. Compeed ist aber wie eine zweite Haut und somit ist der Kleber auf der Haut und kann beim Entfernen die Blase aufreißen. Er gab uns noch ein paar Tipps (wie z.B. nicht zu versuchen, den Fuß anders zu belasten, wenn man Blasen hat, da man dadurch den Fuß falsch belastet und sich auch neue Blasen einfangen kann) und bereitete dann unser Fußbad vor.
Er warnte uns, dass es die ersten 5 Minuten etwas brennen könnte.
Ich löste vorsichtig das Compeedpflaster von der Ferse und riss- es ließ sich nicht verhindern- die zarte, dünne Haut der Blase mit ab. Darunter war hatte sich noch keine neue Haut gebildet, es war dunkelrot und eine recht große Wunde. Ich befürchtete schon, dass es im Fußbad brennen würde und ich sollte Recht behalten. Das Entfernen des Pflasters war schon so schmerzhaft, dass ich schon damit rechnete, das Ganze nicht ohne Tränen zu überstehen. Die Zehen haben ja auch mehrere kleine Blasen und ich habe noch einige andere gerötete Stellen.

Die Schüsseln wurden vor unsere Füße gestellt und los ging es. Ich hätte mich noch eine Stunde mental auf den Schmerz vorbereiten können, es hätte alles nichts genützt: Der Schmerz war unbeschreiblich schlimm. Ich wäre lieber auf der Stelle noch 30 Km weitergelaufen als das hier zu ertragen. Die Tränen schossen in meine Augen und ich musste ernsthaft die Zähne zusammenbeißen, um stumm zu bleiben.
Das mit den 5 Minuten war übrigens die größte Lüge auf dem ganzen Weg. Es hörte nicht auf zu brennen und wurde auch kaum erträglicher. Allan bemerkte nur "No pain- No glory". Er hatte Glück: Er hatte zwar mehr Blasen als ich und sie waren auch viel größer, aber sie waren alle älter und es hatte sich bereits neue Haut unter unter ihnen gebildet, so dass es bei ihm nicht brannte.
Vor dem Essen habe ich mit Hogy eine Zigarette geraucht, in der Hoffnung, dass es dadurch etwas erträglicher würde. Wurde es natürlich nicht.
Nach etwa 20 Minuten wechselten wir an den Essenstisch, an dem ich still weiterlitt. Ein paar Tränen kamen noch nach, auch wenn ich es gern verhindert hätte. Unglaublich, wie stark so etwas brennen kann…
Diese Prozedur sollten wir jetzt jeden Tag 30 Minuten lang machen. Ich kann nur hoffen, dass es morgen weniger brennt als heute. Serafin empfahl mir, morgen nicht in den Stiefeln, sondern in meinen Crocs zu laufen, damit die offene Wunde über der Ferse heilen konnte. Glücklicherweise habe ich einen großen Rucksack dabei, da passen die Stiefel problemlos noch hinein.
1200m steil bergauf...
Den Abend verbrachten wir auf dem Sofa. Serafin begutachtete jeden Pilgerausweis und lobte Allan und mich, weil wir nur in Herbergen und nicht in Pensionen schlafen und weil wir keine Stempeljäger sind. Wir nehmen nur Stempel von Herbergen, in denen wir übernachten (nicht von Bars, Kirchen oder Orten, die wir durchlaufen). Der Ofen brachte eine gemütliche Stimmung und wir aßen Sonnenblumenkerne und unterhielten uns.
Ich hoffe, ich bekomme in den Crocs und ohne meine Einlagen keine Knieprobleme. Gestern und heute hatte ich den Aufmunterungsbrief, den mir meine Freundin Alex für schlechte Zeiten mitgebeben hat , in der Hosentasche. Aber ich bewahre ihn noch für den richtigen Tiefpunkt auf, ich bin sicher der kommt noch. Vielleicht in den Bergen von Leon?

Mit einigen Schmerzen ging ich ins Bett, aber die warme und kuschelige Decke, unter der man zur Abwechslung mal die Beine bewegen kann, machte alles wett und ich vergaß alle Sorgen und schlief ein.

1 Kommentar:

  1. Sehr interessant. Ich bin gespannt, wie es weiter geht, wie es Euch weiter geht.
    Freue mich schon auf morgen und den nächsten Beitrag.
    Gruß
    Route66111

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