(Achtung, durchs Schaltjahr 2012 gibt es einen Eintrag vom 29.2.!)
Nach einem Haufen absolut kurioser Träume bin ich heute früh aufgewacht und musste mich erst einmal organisieren. War ich wirklich beinahe von einem Nashorn getötet worden? Hatte Alex das tatsächlich schon auf youtube gesehen, als ich es ihr etwa eine Stunde danach erzählen wollte?
Nach einem Haufen absolut kurioser Träume bin ich heute früh aufgewacht und musste mich erst einmal organisieren. War ich wirklich beinahe von einem Nashorn getötet worden? Hatte Alex das tatsächlich schon auf youtube gesehen, als ich es ihr etwa eine Stunde danach erzählen wollte?
Sind
wir wirklich an der Ostsee entlanggepilgert und wollten in dem
Wohnwagen meiner Eltern schlafen?
Ich
beschloss, dass Beides unlogisch klang, nicht passiert sein konnte
und stand auf.
Etwas
konfus packte ich meine Sachen, heute mal ohne alles ordentlich zu
falten und zu rollen und im Rucksack zu verstauen. Ich stopfte
einfach alles irgendwie rein und ging in die Küche, um zu
frühstücken. Hogy hatte dort gerade ausgerechnet, dass es doch
knapp 30 Km zu laufen waren. Ich rechnete auch noch einmal nach und
tatsächlich, ich hatte mich gestern nicht vertan.
Da
meine Blase an der Ferse gestern auf dem Weg so gewachsen ist, dass
sie aus dem Compeedbereich herausquoll, musste ich ein neues Pflaster
aufkleben. Gestern hatte ich die Blase geöffnet und hoffe, dass sie
jetzt nicht weiter wächst, sondern verheilt.
Zudem
tapete (also mit Tape abkleben, keine Tapete für die Wand) ich alle
10 Zehen, weil alle rot waren und teilweise kleine Blasen aufwiesen.
Die
ersten Km auf dem Weg waren wieder sehr unangenehm, aber irgendwann
hat man sich eingelaufen. Als wir die ersten 10 Km hinter uns hatten,
trafen wir Dalvo im Ort. Andy hatte einen starken Husten bekommen und
fühlte sich krank (hatte er sich bei dem seltsamen Deutschen
angesteckt?). Er würde ein paar Tage im Ort bleiben. Seine Füße
und Bänder werden es ihm danken. Seine Achillessehne war seit Tagen
sehr empfindlich, aber er ignorierte es und wollte auf keinen Fall zu
einem Arzt gehen, um es untersuchen zu lassen.
Im Ort
entdeckten wir ein Geschäft für Wanderkram und Allan kaufte sich
Sandalen, denn in seinen Stiefeln hielt er es nicht mehr aus. Ich
kaufte mir ein T- Shirt, denn in meinen Langarmshirts halte ich es
bei den immer höheren Temperaturen auch nicht mehr aus. Auch ich
wäre gern auf Sandalen umgestiegen, aber die Stiefel waren so teuer,
dass ich sie jetzt nicht entsorgen konnte und zu schwer, um sie
dauerhaft auf dem Rücken zu tragen und Sandalen kosten hier immerhin
auch mindestens 40€.
Der
Weg zog sich wieder endlos hin und wir kamen zu einem steilen Berg,
den wir hochlaufen mussten. Über 1200 Meter ging es stramm nach
oben, aber dort angekommen, wartete ein großer Rastplatz mit toller
Aussicht auf uns. Danach ging es noch 10 Km weiter bis zur Herberge
und diese kamen uns vor wie 20 Km.
Vor
den letzten 4 Km kam noch ein recht hoher Hügel und ich frage mich,
wo die flache Seite der Meseta bleibt. Es wurde so warm, dass ich
kurzerhand mitten auf dem Weg (es war ja keiner da, die Jungs liefen
vor mir) mein neues T- Shirt anzog, es war einfach zu warm im
langärmligen Shirt.
Die
Wettervorhersage vor dem Start versprach Höchsttemperaturen von 8°C
und jetzt haben wir über 20… Aber natürlich freut uns das!
Auch
gab es hier wieder diese mistigen Minifliegen, die gern in Mund,
Augen und Nase fliegen, aber es war nicht ganz so schlimm wie
gestern. Nerven tun sie trotzdem.
Altes Pilgerhospital |
Irgendwann
machte ich am Horizont so etwas wie ein Haus aus und hoffte, dass
dies unser Ziel war. Oder waren es doch nur Bäume? Vielleicht sehe
ich nach all den Laufstrapazen und in der Hitze Fata Morganas? Oder
bilde ich mir Häuser ein, um ein Ende ausmachen zu können?
Es
schienen wirklich Häuser zu sein und beflügelt von der Hoffnung zog
ich unbewusst mein Tempo an.
Ich
setzte mich von den Jungs ab und schaltete meine Handymusik an. Ich
kann mich durch die Schmerzen und wegen der vielen Steine auf dem Weg
ohnehin nicht auf die Erleuchtung konzentrieren, da kann ich auch
Musik hören, um mich abzulenken. Damit läuft es sich auch
gleich viel leichter.
Als
ich mit Hogy im Ort ankam, gingen wir schon voraus in die Herberge,
denn Allan war ein ganzes Stück hinter uns und ich musste dringend
sitzen und aus den Stiefeln raus. Wir merkten gleich, dass dies eine
besondere Herberge war. Normalerweise bekommt man sofort den Stempel
und muss zahlen. Hier wurden wir von Serafin, dem Besitzer des
Hauses, begrüßt und gefragt, wie es uns geht, wie wir heißen und
was wir brauchen. Er ist den Weg selbst 3x gelaufen und hat diese
Herberge eröffnet, weil im Winter so wenig Herbergen geöffnet sind,
dass man sonst noch 6 Km weiterlaufen müsste. Wie dankbar waren wir,
dass wir das nicht mussten!
Die
Albuerge ist sein eigenes Haus, er wohnt hier und wir konnten alle im
Wohnzimmer sitzen, es gab einen hübschen Garten und einen Ofen im
Haus.
Aber
das Highlight war: Bettdecken! Mit frischen Bezügen und richtig
kuschelig warm. Das wird eine gute Nacht! Der Schlafraum war durch
hübsche Wände getrennt, so dass immer nur ein Etagenbett in einer
Nische stand und dazu gab es kleine Kommoden. Da wir so wenig Leute
waren, konnte jeder eine eigene Nische und das untere Bett in Besitz
nehmen. Serafin fragte, ob noch jemand kommen würde und wir
berichteten, dass Allan gleich kommen müsste. Er fragte das deshalb,
weil der Letzte, der am Tag ankommt, das Einzelzimmer bekommt. Er
sagt, wer zuletzt ankommt, hat oft die größten Probleme und darf
bei ihm dann den Luxus eines Einzelzimmers genießen.
Als
ich duschen gehen wollte, merkte ich, dass mein Handtuch nicht da
war. Ich muss es in Hontanas vergessen haben. Mist, das Ding hat 15€
gekostet. Das kommt davon, wenn man seine Gewohnheiten, den Rucksack
ordentlich zu packen, vernachlässigt. Das wäre mir sonst nicht
passiert.
Ich
fragte Serafin, ob er ein Handtuch da hätte, das ich heute nutzen
könnte und er schenkte mir ein superleichtes Reisehandtuch. Was für
ein Glück! Das Handtuch war zwar nicht neu und es hatte sicher
irgendwann ein anderer Pilger vergessen, aber ich bin froh, dass es
hier gelagert wurde und vielleicht kann irgendwann jemand mal von
meinem vergessenen Handtuch profitieren. Als Dankeschön soll ich
eine Postkarte aus Santiago senden- Das werde ich doch gerne tun.
Heute
kochten wir alle zusammen, bzw. Philippe und Patrick kochten für die
Meute. Serafin hat einen vollen Kühlschrank und bietet gegen
Aufpreis an, dass man sich daran bedient. Wir nahmen das Angebot gern
an. Allan und ich konnten nicht helfen, weil uns die Blasenlehrstunde
bevorstand. Serafin setzte sich mit uns aufs Sofa und erklärte, dass
Compeed an sich etwas Gutes sei, wenn man nur ein paar Tage unterwegs
ist. Bei einer mehrwöchigen Tour ist es aber nicht empfehlenswert,
weil die Blasen nicht richtig verheilen können, wenn man sie
dauerhaft abklebt. Außerdem können so eventuelle Infektionen (und
die hat man ja schnell) nicht verheilen.
Er
sagte, dass die beste Behandlung und Desinfektion ein Fußbad in
warmem Wasser mit Salz und Essig wäre. Am Tag sollen die Blasen nur
abgeklebt werden, um sie zu schützen. Compeed ist aber wie eine
zweite Haut und somit ist der Kleber auf der Haut und kann beim
Entfernen die Blase aufreißen. Er gab uns noch ein paar Tipps (wie
z.B. nicht zu versuchen, den Fuß anders zu belasten, wenn man Blasen
hat, da man dadurch den Fuß falsch belastet und sich auch neue
Blasen einfangen kann) und bereitete dann unser Fußbad vor.
Er
warnte uns, dass es die ersten 5 Minuten etwas brennen könnte.
Ich
löste vorsichtig das Compeedpflaster von der Ferse und riss- es ließ
sich nicht verhindern- die zarte, dünne Haut der Blase mit ab.
Darunter war hatte sich noch keine neue Haut gebildet, es war
dunkelrot und eine recht große Wunde. Ich befürchtete schon, dass
es im Fußbad brennen würde und ich sollte Recht behalten. Das
Entfernen des Pflasters war schon so schmerzhaft, dass ich schon
damit rechnete, das Ganze nicht ohne Tränen zu überstehen. Die
Zehen haben ja auch mehrere kleine Blasen und ich habe noch einige
andere gerötete Stellen.
Die
Schüsseln wurden vor unsere Füße gestellt und los ging es. Ich
hätte mich noch eine Stunde mental auf den Schmerz vorbereiten
können, es hätte alles nichts genützt: Der Schmerz war
unbeschreiblich schlimm. Ich wäre lieber auf der Stelle noch 30 Km
weitergelaufen als das hier zu ertragen. Die Tränen schossen in
meine Augen und ich musste ernsthaft die Zähne zusammenbeißen, um
stumm zu bleiben.
Das
mit den 5 Minuten war übrigens die größte Lüge auf dem ganzen
Weg. Es hörte nicht auf zu brennen und wurde auch kaum erträglicher.
Allan bemerkte nur "No pain- No glory". Er hatte Glück: Er
hatte zwar mehr Blasen als ich und sie waren auch viel größer, aber
sie waren alle älter und es hatte sich bereits neue Haut unter unter
ihnen gebildet, so dass es bei ihm nicht brannte.
Vor
dem Essen habe ich mit Hogy eine Zigarette geraucht, in der Hoffnung,
dass es dadurch etwas erträglicher würde. Wurde es natürlich
nicht.
Nach
etwa 20 Minuten wechselten wir an den Essenstisch, an dem ich still
weiterlitt. Ein paar Tränen kamen noch nach, auch wenn ich es gern
verhindert hätte. Unglaublich, wie stark so etwas brennen kann…
Diese
Prozedur sollten wir jetzt jeden Tag 30 Minuten lang machen. Ich kann
nur hoffen, dass es morgen weniger brennt als heute. Serafin empfahl
mir, morgen nicht in den Stiefeln, sondern in meinen Crocs zu laufen,
damit die offene Wunde über der Ferse heilen konnte.
Glücklicherweise habe ich einen großen Rucksack dabei, da passen
die Stiefel problemlos noch hinein.
1200m steil bergauf... |
Den
Abend verbrachten wir auf dem Sofa. Serafin begutachtete jeden
Pilgerausweis und lobte Allan und mich, weil wir nur in Herbergen und
nicht in Pensionen schlafen und weil wir keine Stempeljäger sind.
Wir nehmen nur Stempel von Herbergen, in denen wir übernachten
(nicht von Bars, Kirchen oder Orten, die wir durchlaufen). Der Ofen
brachte eine gemütliche Stimmung und wir aßen Sonnenblumenkerne und
unterhielten uns.
Ich
hoffe, ich bekomme in den Crocs und ohne meine Einlagen keine
Knieprobleme. Gestern und heute hatte ich den Aufmunterungsbrief, den
mir meine Freundin Alex für schlechte Zeiten mitgebeben hat , in der
Hosentasche. Aber ich bewahre ihn noch für den richtigen Tiefpunkt
auf, ich bin sicher der kommt noch. Vielleicht in den Bergen von
Leon?
Mit
einigen Schmerzen ging ich ins Bett, aber die warme und kuschelige
Decke, unter der man zur Abwechslung mal die Beine bewegen kann,
machte alles wett und ich vergaß alle Sorgen und schlief ein.
Sehr interessant. Ich bin gespannt, wie es weiter geht, wie es Euch weiter geht.
AntwortenLöschenFreue mich schon auf morgen und den nächsten Beitrag.
Gruß
Route66111