Heute morgen bin ich
irgendwie nicht aus dem Bett gekommen und den Anderen ging es nicht besser. Der
Hospitalero drehte gegen 7.45 Uhr fröhliche spanische Musik auf, um uns aus den
Betten zu werfen.
Ich brach heute mit
Allan auf und blieb den ganzen Tag mit ihm zusammen. Zuerst suchten wir einen
Bäcker- Allan hat große Blasen, da ist jeder Umweg eine Qual- und kauften
frisches Baguette. Habe ich schon erwähnt, dass ich es bald nicht mehr sehen
kann?
Nach gut 12 Km
machten wir eine Frühstückspause. Heute ging es durch ein Dorf, in dem ich
merkte, dass es der letzte Laden vor Burgos sein würde (da kommen wir erst
morgen an). Da es nur ein Miniladen war, mussten wir ganz schön Geld hinlegen,
aber die Preise können die Besitzer sich sicher leisten. Aber ein Eis war
trotzdem drin, denn vor der Tür hatte sich eine kleine Pilgerschar
zusammengefunden und das Wetter war schön. Auch ein kleiner Hund wuselte um uns
herum und nahm wie selbstverständlich auf meinem Schoß Platz.
Regen hatten wir
bisher nicht wirklich, sondern oft Sonnenschein und klaren Himmel. Mittags wird
es sogar so warm, dass ich die Ärmel und Hosenbeine hochkremple. Und ich
dachte, eine Zip- Offhose sei im Februar unnötig…
Ich traf auch auf
Philippe und erfuhr, dass es sein Handschuh war, den ich gestern aufgesammelt
habe. Er meinte, dass er sicher war, dass ihn jemand mitnehmen würde und war
froh, ihn wiederzuhaben.
Heute ging es 12 Km
durch eine Schneise im Wald. Ein breiter Weg, teilweise schlammig, teilweise
liegt sogar noch Schnee. Je nachdem, ob der Weg Sonne abbekommt oder nicht. Er
zog sich unendlich in die Länge.
Nach ein paar Km
machten wir Pause vor einer "Halfpipe", einer Senke, in die wir
reinmussten und wo es am anderen Ende steil wieder hochging. Ich wünschte mir
eine Brücke, aber weil die nicht erschien, ruhten wir uns erst einmal aus.
Da kamen Philippe
und Patrick vorbei. Philippe erzählte lachend, dass er jetzt den anderen
Handschuh verloren hätte.
Patrick schrieb an
die Leitplanke am Wegesrand "Ultreia You- Jin, Hogy, Sabine"
("immer weiter"), aber ich bezweifelte, dass sie es entdeckt haben.
Wir liefen weiter
und erfreuten uns am Weg, der so durch den Wald lief, wo es nichts Anderes gab
als Bäume und den Weg geradeaus. Als wir keine Lust mehr hatten, weil unsere
Füße schmerzten und uns die Gegend anzuöden begann, lag plötzlich ein Stein vor
uns auf dem Weg, auf dem geschrieben stand "Ultreia Birte &
Allan" Wie cool! Das hat uns echt einen Motivationsschub gegeben.
Als wir nach einer
unglaublich langen Zeit endlich aus dem Wald herauskamen, trafen wir im Ort die
Männer und ein paar andere Pilger wieder, die gerade Pause machten. Sie hatten
beschlossen, nicht in Agès zu schlafen, sondern nach Atapuerca weiterzulaufen
und hatten eine Nachricht auf einen Briefumschlag geschrieben und diesen mitten
auf den Weg gelegt. Atapuerca war nur 3,7 Km weiter, aber 5€ günstiger, also
schlossen wir uns dem Plan und der Einladung an und liefen auch dahin. Wir
fügten unsere Namen auf dem Umschlag hinzu, damit die Anderen hinter uns
Bescheid wussten. Wir machten eine Pause und liefen dann mit Philippe weiter,
der noch eine Blase am Fuß versorgen musste. Es ging über steinige Wege durch
Wälder und Hügel und wieder einmal musste man aufpassen, wo man hintritt.
Wenn ich einmal
einen Moment unaufmerksam bin, knicke ich um oder trete gegen einen Stein und
dann fährt der Schmerz durch den ganzen Fuß. Glücklicherweise gehen meine
Stiefel über die Knöchel und stützen den Fuß, so dass mir beim Umknicken nichts
passiert. In Agès angekommen, verlief der Weg nach Atapuerca auf der Landstraße
und Allan erzählte von allerhand Streichen, die er in der Schule angestellt
hatte und so kamen wir lachend im Ort
an, wo wir die Herberge bestimmt 15 Minuten suchen mussten. Am Weg stand ein
anderer Name als in meinem Buch, aber selbst der Wegbeschreibung folgend,
wollte sich die Herberge nicht zeigen. Irgendwann entdeckten wir den gesuchten
Namen klein an der Rückseite eines Hauses.
Die Herberge gehört
zu einer Bar und die Dame war sehr überrascht, dass wir so viele Leute waren,
normalerweise schlafen die wenigen Pilger im Winter im Zimmer über der Bar, wo
aber nur Platz für 3 Leute ist und so musste sie die Scheune aufschließen, denn
wir waren jetzt schon 7 und vielleicht würden noch mehr kommen.
In der Scheune war
es sogar kälter als draußen und es war klar zu erkennen, dass wir die ersten
Besucher des Jahres waren. Es war total schmutzig, lauter tote Fliegen und
andere Insekten lagen auf den Betten und es sah aus, als wären schmutzige
Sachen über den Betten ausgeschüttelt worden.
Das Wasser war nach
3 Stunden immer noch so eiskalt, dass das Duschen heute ausfallen musste, was
mir gar nicht gefällt. Aber hart genug, um mich im eiskalten Haus unter die
kalte Dusche zu stellen, war ich dann doch nicht.
Also gingen wir alle
in eine Bar im Ort, wärmten uns auf, tranken Bier und knabberten
Sonnenblumenkerne.
Nebenbei lief eine
sehr schlechte spanische Soap im Fernsehen und ich musste lachen, weil man auch
ohne Spanischkenntnisse sehen konnte, dass das hier echtes Trash- TV war.
In der Herberge
überredeten die Jungs die Frau in der Bar, einen Topf herauszugeben und kochten
Nudeln. Da einige Nudeln übriggeblieben waren, bekam ich auch einen Teller und
weil ich die nicht trocken essen wollte, gab es… Schokosauce dazu! Verrückt, aber
lecker. Und allemal besser als nichts. Glücklicherweise hatte die Dame einen
Heizstrahler in der Scheune stehen, an dem wir uns ein bisschen wärmen konnten.
Seltsame Bäckerei |
Er hatte keinen
Schlafsack und auch keinen Rucksack dabei. Also musste er einige der Decken
nehmen, die in der Herberge lagen und hat dabei gleich mal ein paar Spinnen
aufgescheucht.
Vor der Spüle stand
eine kleine Wand, so dass zwischen Spülbecken und Wand nur etwa ein Meter Platz
war. Der Deutsche stand am Becken, spülte seinen Teller und ich stand mit 2
Anderen auch "im Gang" und wartete darauf, unsere Sachen spülen zu können.
Der Mann stand am Waschbecken, blickte eine Minute starr geradeaus und sagte
dann in einem ganz kuriosen Tonfall: "Könnt ihr mich BITTE mal
rauslassen?!"
Er hätte genug Platz
gehabt, an uns vorbeizugehen, aber dennoch rückten wir nah an die Küchenzeile,
damit er durchkonnte.
Wir sind alle
ziemlich froh, dass er morgen in die entgegengesetzte Richtung laufen wird. Ich
würde fast sagen, dass er irgendetwas mit der Psyche hat, aber da er gerade im
Krankenhaus war und wieder freigelassen wurde, ist er vielleicht einfach in den
Monaten der Einsamkeit etwas seltsam geworden (oder war es schon immer)?
Am Abend saßen wir
alle (bis auf den Deutschen, der hustete sich im Bett die Seele aus dem Leib)
im Vorraum am Ofen und unterhielten uns. Einer der Pilger erzählte, dass er den
Jakobsweg läuft, weil er bis vor einigen Monaten in einem Hochsicherheitsgebäude
gearbeitet hatte, das überfallen wurde (und wo viel Geld entwendet wurde).
Dabei wurde sein guter Freund bei einer Explosion getötet und er hat ihn noch
auseinandergerissen ansehen müssen. Er erzählte von den Missständen, dass viel
Geld in Sicherheitstechnik investiert würde, aber am Personal gespart. So
hatten die Mitarbeiter keine Chance, als die Einbrecher, getarnt als
Polizisten, das Gebäude überfielen. Er ist dann den Jakobsweg von Paris aus
gelaufen und konnte heute das erste Mal ohne Tränen von der Geschichte
erzählen. Er hatte es geschafft, sich von seinem Freund auf dem Weg zu
verabschieden.
Bevor wir ins Bett
gingen, bauten wir noch das Sofa vor dem Ofen auf und legten Decken hin, damit
der Psychodeutsche umziehen konnte. Er wollte im Nebenraum schlafen, um
niemanden anzustecken und außerdem war es warm am Ofen. Aber außer der Spinne,
die ich in den Decken rübergetragen habe, hat niemand am Ofen genächtigt.
Ich legte mich in
meinen Schlafsack und hoffte, dass mir sowohl Kälte als auch Ungeziefer vom
Leib bleiben würden. Der kleine Heizstrahler hat nicht genug Power gehabt, um
die Scheune zu erwärmen und vermutlich ist sie ohnehin schlecht isoliert.
Hogy und You- Jin
haben wir heute nicht mehr gesehen. Vermutlich sind sie in Agès geblieben oder
durchgebrannt.
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