Samstag, 16. Februar 2013

16. Februar- Roncesvalles (ca. 31 Km)



Die Nacht im Schlafraum war ganz gut. Alle waren gegen 21.50 Uhr im Bett und bin nur 2x wegen eines Schnachers aufgewacht und habe festgestellt, dass der Schlafsack in einem geheizten Raum sehr warmhält.
Ich wachte kurz vor meinem Wecker auf und zwei Minuten später erwachte, ohne dass ich einen Wecker gehört hätte, die ganze Mannschaft auf.
Wir zogen uns einvernehmlich und ohne Worte im Dunklen an, immerhin liegen Männer und Frauen ja in einem Raum.
Jeanine servierte zum Frühstück Baguette mit Marmelade und Kaffee bzw. Tee in Müslischüsseln, wie es die Franzosen häufig tun.
Um 7.50 Uhr machte ich mich mit Duck auf den Weg, ca. 28 Km nach Roncesvalles.

Auch wenn wir nicht über die Route de Napoleon laufen konnten, wo es auf 1.420 Metern Höhe geht (St. Jean liegt 1.257m tiefer), erwartete uns auf der Alternativstrecke an der Landstraße eine Bewältigung von 894 Höhenmetern. Dazu kamen dann noch zahlreiche Auf- und Abstiege, die wir den Vormittag lang zu bewältigen hatten. Noch in St. Jean trafen wir auf Francois und liefen zu dritt weiter. Später trafen die beiden Berlinerinnen, die sich uns mit ihrem leichtem Gepäck anschlossen. In Valcarlos gingen wir kurz einkaufen und von da an ging es auf der Landstraße weiter. Es zweigte immer wieder mal ein Weg für Pilger ab und der Erste führte uns in ein Tal, wo wir eine ausgiebige Pause machten und es uns auf einer kleinen Mauer auf meiner Alumatte bequem machten, weil es sehr feucht war. Wir teilten Nüsse, Trockenfrüchte und was sonst noch gefunden werden konnte und kurz darauf kamen die beiden spanischen Paare und der Brasilianer an und wir hatten eine lustige Pause. Dalvo hatte neben seinem viel zu schweren Wanderrucksack noch einen kleinen Rucksack vor dem Bauch. Am ersten Tag mit 18 Kg über die Pyrenäen zu laufen kann nicht besonders viel Spaß machen.



Der weitere Weg verlief recht schmal durch einen Wald und ziemlich steil bergauf an einem Hang, der zum Fluss hinunterführte. Je höher wir kamen, desto glatter wurde es, vereinzelt lag auch Schnee.
Als wir das dritte mal von der Landstraße auf einen Pfad abbogen, war dieser von Beginn an recht schmal. Wir liefen nun sehr viel bergauf, es lag immer mehr Schnee und es wurde immer beschwerlicher.

Als wir ein Schild sahen, dass es nur noch 4,8 Km nach Roncesvalles wären, freuten wir uns und zogen motiviert weiter. Was wir nicht wussten war, dass sich der Weg immer weiter nach oben ziehen würde und uns alles abverlangen wollte. Der Schnee stieg irgendwann- es ging ja nur bergauf- auf gut 15 cm und jeder Schritt wurde zur Qual.
Glücklicherweise hatte Duck mir heute morgen einen seiner Teleskopwanderstöcke gegeben. Ich habe gestern in St. Jean keinen offenen Laden gefunden, um einen Stab zu kaufen. Diesen Stock jetzt zu haben war gut und wichtig, denn der Weg war zwischendurch gefährlich rutschig und wir liefen immer am Hang entlang. Außerdem war er eine gute Unterstützung, um durch den Schnee zu kommen.
Die Berlinerinnen hatten uns längst abgehängt, da sie nur einen Rucksack dabeihaben, den sie zudem abwechselnd trugen. Sie stapften problemlos durch den Schnee davon.

Die Sicht wurde immer schlechter, da wir wohl in den Wolken waren. Mehr als 30 Meter konnten wir nicht sehen und somit auch nicht abschätzen, wie lange sich der Scheißberg noch ziehen würde.
Mein Rucksack wog sicher 9 Kg, weil ich noch so viel Essen von der Hinreise hatte (ich packe ja immer wie für den Weltuntergang) und weil wir genug Wasser mitnehmen mussten.
Ich habe mich sehr gefreut, dass wir uns so gut verstehen und es gleich am ersten Tag so eine Gemeinschaft gibt. Allein wäre ich mit Sicherheit verzweifelt und gestern hätte ich den Weg im Leben nicht geschafft, also gut, dass ich in St. Jean geblieben bin.
Der Rucksack, der glücklicherweise sehr gut sitzt, wollte den Berg hinaufgetragen werden und das Stapfen durch den Schnee machte die Aktion zu einer echten Herausforderung.
Meine Füße wollten schon lange eine richtige Pause haben, wir hatten bisher nur die 20 Minuten mit den Anderen und sonst immer nur wenige Minuten- Mehr ist bei der Kälte nicht möglich. Während des Laufens war mir sehr warn, ich trug auch bei diesen Minusgraden nur Fleecepulli und Regenjacke (oh, dann muss der Rucksack deutlich schwerer gewesen sein, denn die Jacke wiegt mit Inhalt bestimmt noch mal ein Kg), für Mütze und Handschuhe war mir zu warm. Aber nach wenigen Minuten Pause begannen wir immer zu frieren, immerhin waren wir durch den dauerhaften Anstieg ganz gut ins Schwitzen gekommen und setzen konnte man sich ja auch nirgends. Also mussten wir weiterziehen.

Als wir wieder auf die Landstraße trafen, beschlossen wir, dort zu bleiben und nicht wieder auf den schlimmen Schneeweg abzubiegen. Später erfuhren wir, dass die Anderen es durchaus versucht haben, aber umdrehen mussten, weil es nicht möglich war bei der stetig steigenden Schneemenge vorwärtszukommen.
Leider wussten wir nicht, wie weit wir auf dieser Landstraße noch vor uns hatten und liefen weiter, immer weiter bergauf… Und die verdammte Straße wollte einfach nicht in den Gipfel münden!

Wir hatten einfach keine Lust mehr.
Wir waren bereits seit 2 Stunden lustlos, klagten uns gegenseitig unser Leid und hielten irgendwann alle paar hundert Meter, manchmal auch Meter, an und ruhten uns kurz aus.
Als das Gipfelkreuz endlich in Sicht kam, verriet mein Pilgerführer mir, dass wir jetzt noch 1,8 Km bergab laufen mussten und wir dann e n d l i c h angekommen wären.
Wir waren uns sicher, dass der Weg nie ein Ende nehmen würde und liefen jetzt voller Freude mit der Aussicht auf eine warme Dusche und ein Bett weiter und waren so froh, als endlich das Kloster vor uns auftauchte!

Der Tag war wirklich hart und wir waren über 8 Stunden unterwegs gewesen. Über 30 Km und das am ersten Tag und gleich mit so einer Steigung und so viel Leid.
Das war für uns alle zu viel. Wir fielen voller Freude in unsere Betten und ruhten uns aus. Einige Zeit nach uns kam eine Belgierin an, sie hatte in Valcarlos geschlafen, in der angeblich geschlossenen Herberge.
Und sie hätte sich so gefreut, wenn sie die Pyrenäen nicht hätte allein überqueren müssen, was bei den Wetterverhältnissen ja auch gefährlich werden kann.
Sie startete zu Hause in Belgien, lebte einen Monat in einer buddhistischen Gemeinschaft in Frankreich und war nach ein paar Tagen Pause in St. Jean gestern weitergelaufen. Leider durfte sie nicht länger bleiben, sonst hätte sie uns noch getroffen. Aber die meisten Herbergen lassen Pilger nur für eine Nacht bleiben und grummeln bei jeder Weiteren. Dabei ist im Winter nichts los und es waren genug Betten frei.

Dalvo, der sich wohl schon in St. Jean von einigen Klamotten getrennt hatte, schnitt abends das Innenfutter aus seinem Schlafsack, um Gewicht zu verlieren und Volumen im Rucksack zu gewinnen.
In der Herberge gab es keine Decken und so mussten die Berlinerinnen improvisieren und bastelten sich ein Lager aus meiner Alumatte, einer schmalen Fleecedecke und diversen Jacken, die ihnen die Spanier förmlich aufdrängten. Die Etagenbetten standen so eng nebeneinander, dass die Beiden quasi ein Doppelbett hatten und so konnten sie sich alles teilen und ggf. zusammenrutschen.
Ich bedauere schon jetzt, dass sie am Samstag wieder nach Hause müssen.

Um 20 Uhr war die Messe mit der anschließenden Pilgersegnung und wir gingen frisch geduscht mit ein paar Pilgern rüber. Es sind noch einige angekommen, die hier starten werden.
Die Kirche war leer, 3 Männer hielten die Messe. Ich bin ja in der Welt der Katholiken nicht so bewandert, aber ich denke, es hatte schon seine Richtigkeit, dass sie sich gegenseitig immer wieder ins Wort gefallen sind.
Da keiner von uns so wirklich gut Spanisch konnte, musste der Frontmann (ich weiß das katholische Wort für diesen Menschen leider nicht) immer mit einer Geste klarmachen, dass wir aufstehen sollten. Während der Abendmahlsvorbereitung hob er die Hände und man hörte alle Pilger auf der Bank nach vorn rutschen, um aufzustehen, um dann festzustellen, dass er nur eine anbetende Geste machte.

Als das Abendmahl verteilt wurde, liefen alle nach vorn und dem Herdentrieb folgend, fragte ich Lisa, als sie zurückkam, ob man die Oblate in den Mund oder die Hand bekäme und lief, naiv wie ich als Baptistin bin, nach vorn.
Der Pfarrer, Priester oder Frontmann blickte mich kritisch an- er hatte wohl gesehen, dass ich darin jetzt nicht so die Übung habe und fragte
"Are you catholic?" 
"I'm protestant"
"Are you catholic?"
Ich sagte etwas deutlicher, dass ich Protestant sei, um ihm klarzumachen, dass ich durchaus an Gott glaube und würdig war, die Oblate zu empfangen. Auf sein drittes
"ARE YOU CATHOLIC?!", dieses mal aggressiver und ein klares ja oder ein fordernd, sagte ich "No."
Er ließ die Oblate fallen (in seinen Behälter natürlich) und als ich mich zum Gehen wenden wollte, hielt er mich auf und malte mir ein Kreuz auf die Stirn. Dankeschön.
Wie gesagt, ich habe nicht daran gedacht, dass die Katholiken da etwas eigen sind und ich dachte, als Pilgerkloster würde man ökumenischer denken. Lustig war es trotzdem und ein bisschen protestiert hab ich ja auch.

Wir fielen nach einigen sehr interessanten Gesprächen mit den Neuankömmlingen und Allan, dem Kanadier, den wir den ganzen Tag nicht gesehen hatten, bald in einen mehr oder weniger erholsamen Schlaf, weil der Spanier wieder sehr laut schnarchte.

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