Die Nacht im
Schlafraum war ganz gut. Alle waren gegen 21.50 Uhr im Bett und bin nur 2x
wegen eines Schnachers aufgewacht und habe festgestellt, dass der
Schlafsack in einem geheizten Raum sehr warmhält.
Ich wachte kurz vor
meinem Wecker auf und zwei Minuten später erwachte, ohne dass ich einen Wecker
gehört hätte, die ganze Mannschaft auf.
Wir zogen uns
einvernehmlich und ohne Worte im Dunklen an, immerhin liegen Männer und Frauen
ja in einem Raum.
Jeanine servierte
zum Frühstück Baguette mit Marmelade und Kaffee bzw. Tee in Müslischüsseln, wie
es die Franzosen häufig tun.
Um 7.50 Uhr machte
ich mich mit Duck auf den Weg, ca. 28 Km nach Roncesvalles.
Auch wenn wir nicht
über die Route de Napoleon laufen konnten, wo es auf 1.420 Metern Höhe geht (St.
Jean liegt 1.257m tiefer), erwartete uns auf der Alternativstrecke an der
Landstraße eine Bewältigung von 894 Höhenmetern. Dazu kamen dann noch
zahlreiche Auf- und Abstiege, die wir den Vormittag lang zu bewältigen hatten.
Noch in St. Jean trafen wir auf Francois und liefen zu dritt weiter. Später
trafen die beiden Berlinerinnen, die sich uns mit ihrem leichtem Gepäck
anschlossen. In Valcarlos gingen wir kurz einkaufen und von da an ging es auf
der Landstraße weiter. Es zweigte immer wieder mal ein Weg für Pilger ab und
der Erste führte uns in ein Tal, wo wir eine ausgiebige Pause machten und es
uns auf einer kleinen Mauer auf meiner Alumatte bequem machten, weil es sehr
feucht war. Wir teilten Nüsse, Trockenfrüchte und was sonst noch gefunden
werden konnte und kurz darauf kamen die beiden spanischen Paare und der
Brasilianer an und wir hatten eine lustige Pause. Dalvo hatte neben seinem viel
zu schweren Wanderrucksack noch einen kleinen Rucksack vor dem Bauch. Am ersten
Tag mit 18 Kg über die Pyrenäen zu laufen kann nicht besonders viel Spaß
machen.
Der weitere Weg
verlief recht schmal durch einen Wald und ziemlich steil bergauf an einem Hang,
der zum Fluss hinunterführte. Je höher wir kamen, desto glatter wurde es,
vereinzelt lag auch Schnee.
Als wir das dritte
mal von der Landstraße auf einen Pfad abbogen, war dieser von Beginn an recht
schmal. Wir liefen nun sehr viel bergauf, es lag immer mehr Schnee und es wurde
immer beschwerlicher.
Als wir ein Schild
sahen, dass es nur noch 4,8 Km nach Roncesvalles wären, freuten wir uns und
zogen motiviert weiter. Was wir nicht wussten war, dass sich der Weg immer
weiter nach oben ziehen würde und uns alles abverlangen wollte. Der Schnee stieg
irgendwann- es ging ja nur bergauf- auf gut 15 cm und jeder Schritt wurde zur
Qual.
Glücklicherweise
hatte Duck mir heute morgen einen seiner Teleskopwanderstöcke gegeben. Ich habe
gestern in St. Jean keinen offenen Laden gefunden, um einen Stab zu kaufen.
Diesen Stock jetzt zu haben war gut und wichtig, denn der Weg war zwischendurch
gefährlich rutschig und wir liefen immer am Hang entlang. Außerdem war er eine
gute Unterstützung, um durch den Schnee zu kommen.
Die Berlinerinnen
hatten uns längst abgehängt, da sie nur einen Rucksack dabeihaben, den sie
zudem abwechselnd trugen. Sie stapften problemlos durch den Schnee davon.
Die Sicht wurde
immer schlechter, da wir wohl in den Wolken waren. Mehr als 30 Meter konnten
wir nicht sehen und somit auch nicht abschätzen, wie lange sich der Scheißberg
noch ziehen würde.
Mein Rucksack wog
sicher 9 Kg, weil ich noch so viel Essen von der Hinreise hatte (ich packe ja
immer wie für den Weltuntergang) und weil wir genug Wasser mitnehmen mussten.
Ich habe mich sehr
gefreut, dass wir uns so gut verstehen und es gleich am ersten Tag so eine
Gemeinschaft gibt. Allein wäre ich mit Sicherheit verzweifelt und gestern hätte
ich den Weg im Leben nicht geschafft, also gut, dass ich in St. Jean geblieben
bin.
Der Rucksack,
der glücklicherweise sehr gut sitzt, wollte den Berg
hinaufgetragen werden und das Stapfen durch den Schnee machte die Aktion zu
einer echten Herausforderung.
Meine Füße wollten
schon lange eine richtige Pause haben, wir hatten bisher nur die 20 Minuten mit
den Anderen und sonst immer nur wenige Minuten- Mehr ist bei der Kälte nicht
möglich. Während des Laufens war mir sehr warn, ich trug auch bei diesen Minusgraden
nur Fleecepulli und Regenjacke (oh, dann muss der Rucksack deutlich schwerer
gewesen sein, denn die Jacke wiegt mit Inhalt bestimmt noch mal ein Kg), für
Mütze und Handschuhe war mir zu warm. Aber nach wenigen Minuten Pause begannen
wir immer zu frieren, immerhin waren wir durch den dauerhaften Anstieg ganz gut
ins Schwitzen gekommen und setzen konnte man sich ja auch nirgends. Also
mussten wir weiterziehen.
Als wir wieder auf
die Landstraße trafen, beschlossen wir, dort zu bleiben und nicht wieder auf
den schlimmen Schneeweg abzubiegen. Später erfuhren wir, dass die Anderen es
durchaus versucht haben, aber umdrehen mussten, weil es nicht möglich war bei
der stetig steigenden Schneemenge vorwärtszukommen.
Leider wussten wir
nicht, wie weit wir auf dieser Landstraße noch vor uns hatten und liefen
weiter, immer weiter bergauf… Und die verdammte Straße wollte einfach nicht in
den Gipfel münden!
Wir hatten einfach
keine Lust mehr.
Wir waren bereits
seit 2 Stunden lustlos, klagten uns gegenseitig unser Leid und hielten
irgendwann alle paar hundert Meter, manchmal auch Meter, an und ruhten uns kurz
aus.
Als das Gipfelkreuz
endlich in Sicht kam, verriet mein Pilgerführer mir, dass wir jetzt noch 1,8 Km
bergab laufen mussten und wir dann e n d l i c h angekommen wären.
Wir waren uns
sicher, dass der Weg nie ein Ende nehmen würde und liefen jetzt voller Freude
mit der Aussicht auf eine warme Dusche und ein Bett weiter und waren so froh,
als endlich das Kloster vor uns auftauchte!
Der Tag war wirklich
hart und wir waren über 8 Stunden unterwegs gewesen. Über 30 Km und das am
ersten Tag und gleich mit so einer Steigung und so viel Leid.
Das war für uns alle
zu viel. Wir fielen voller Freude in unsere Betten und ruhten uns aus. Einige Zeit
nach uns kam eine Belgierin an, sie hatte in Valcarlos geschlafen, in der
angeblich geschlossenen Herberge.
Und sie hätte sich
so gefreut, wenn sie die Pyrenäen nicht hätte allein überqueren müssen, was bei
den Wetterverhältnissen ja auch gefährlich werden kann.
Sie startete zu
Hause in Belgien, lebte einen Monat in einer buddhistischen Gemeinschaft in
Frankreich und war nach ein paar Tagen Pause in St. Jean gestern
weitergelaufen. Leider durfte sie nicht länger bleiben, sonst hätte sie uns
noch getroffen. Aber die meisten Herbergen lassen Pilger nur für eine Nacht
bleiben und grummeln bei jeder Weiteren. Dabei ist im Winter nichts los und es
waren genug Betten frei.
Dalvo, der sich wohl
schon in St. Jean von einigen Klamotten getrennt hatte, schnitt abends das
Innenfutter aus seinem Schlafsack, um Gewicht zu verlieren und Volumen im
Rucksack zu gewinnen.
In der Herberge gab
es keine Decken und so mussten die Berlinerinnen improvisieren und bastelten sich ein Lager aus meiner Alumatte, einer schmalen Fleecedecke und diversen
Jacken, die ihnen die Spanier förmlich aufdrängten. Die Etagenbetten standen so
eng nebeneinander, dass die Beiden quasi ein Doppelbett hatten und so konnten sie
sich alles teilen und ggf. zusammenrutschen.
Ich bedauere schon
jetzt, dass sie am Samstag wieder nach Hause müssen.
Um 20 Uhr war die
Messe mit der anschließenden Pilgersegnung und wir gingen frisch geduscht mit
ein paar Pilgern rüber. Es sind noch einige angekommen, die hier starten
werden.
Die Kirche war leer,
3 Männer hielten die Messe. Ich bin ja in der Welt der Katholiken nicht so
bewandert, aber ich denke, es hatte schon seine Richtigkeit, dass sie sich
gegenseitig immer wieder ins Wort gefallen sind.
Da keiner von uns so
wirklich gut Spanisch konnte, musste der Frontmann (ich weiß das katholische
Wort für diesen Menschen leider nicht) immer mit einer Geste klarmachen, dass
wir aufstehen sollten. Während der Abendmahlsvorbereitung hob er die Hände und
man hörte alle Pilger auf der Bank nach vorn rutschen, um aufzustehen, um dann
festzustellen, dass er nur eine anbetende Geste machte.
Als das Abendmahl
verteilt wurde, liefen alle nach vorn und dem Herdentrieb folgend, fragte ich
Lisa, als sie zurückkam, ob man die Oblate in den Mund oder die Hand bekäme und
lief, naiv wie ich als Baptistin bin, nach vorn.
Der Pfarrer,
Priester oder Frontmann blickte mich kritisch an- er hatte wohl gesehen, dass
ich darin jetzt nicht so die Übung habe und fragte
"Are you
catholic?"
"I'm
protestant"
"Are you
catholic?"
Ich sagte etwas
deutlicher, dass ich Protestant sei, um ihm klarzumachen, dass ich durchaus an
Gott glaube und würdig war, die Oblate zu empfangen. Auf sein drittes
"ARE YOU
CATHOLIC?!", dieses mal aggressiver und ein klares ja oder ein fordernd,
sagte ich "No."
Er ließ die Oblate
fallen (in seinen Behälter natürlich) und als ich mich zum Gehen wenden wollte,
hielt er mich auf und malte mir ein Kreuz auf die Stirn. Dankeschön.
Wie gesagt, ich habe
nicht daran gedacht, dass die Katholiken da etwas eigen sind und ich dachte,
als Pilgerkloster würde man ökumenischer denken. Lustig war es trotzdem und ein
bisschen protestiert hab ich ja auch.
Wir fielen nach
einigen sehr interessanten Gesprächen mit den Neuankömmlingen und Allan, dem
Kanadier, den wir den ganzen Tag nicht gesehen hatten, bald in einen mehr oder
weniger erholsamen Schlaf, weil der Spanier wieder sehr laut schnarchte.
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