Heute wurden wir um
6.30 Uhr geweckt, als das Licht angeschaltet wurde. Die ruhigen Zeiten scheinen
vorbei zu sein, ab jetzt wird wohl früher aufgestanden. Viele Pilger waren
schon auf dem Weg oder fast fertig mit packen. Unruhe lag in der Luft, da kaum ein
Pilger routiniert ist und viele offenbar denken, sie müssten in aller
Herrgottsfrühe aus dem Haus stürmen, um rechtzeitig in Santiago anzukommen.
Ich habe entspannt
meinen Rucksack gepackt und Johannes schlief weiter. So musste ich eine ganze
Zeit lang am Ausgang auf ihn warten und sah, dass es regnete. Ich legte meine
Schlechtwetterausrüstung bereit und beschloss, diesen Schauer abzuwarten. Als der
Regen nachließ tauchte auch Johannes auf und wir konnten starten. Es war erst
halb 8 und noch nicht einmal richtig hell. Dennoch gehörten wir zu den Letzten,
die sich heute auf den Weg machten.
Die heutige Strecke
war auch für mich neu, da ich durch den Schnee im Februar 2012 auf der
Landstraße bis nach Zubiri laufen musste. Gleich hinter dem berühmten Schild
"Santiago de Compostela 790 Km" ging es auf Pisten durch schmale
Wälder und als wir in den ersten Ort durchquert hatten stellte sich mir ein
spanischer Opa in den Weg. Ich weiß nicht, was er von mir wollte, aber er
wollte unbedingt, dass ich ein Foto mit ihm zusammen schieße. Ich tat ihm den
Gefallen und er küsste mich zum Abschied auf die Wange- Aber nur, weil ich
meinen Mund schnell genug wegdrehen konnte, als ich seinen Plan durchschaute.
Amüsiert liefen wir weiter und fragten uns, ob er das bei jeder Frau versucht.
Ich kann es mir gut vorstellen, so routiniert wie er wirkte.
Wir wanderten lange
über Hügel, Weiden und durch Wälder bis wir endlich nach Espinal kamen, um
einzukaufen. Das Wetter blieb ziemlich ungemütlich und es fing erst wieder an
zu regnen, als wir unsere Pause vor dem Dorfladen machen wollten.
Wir warfen unsere
Ponchos über die Rucksäcke und gingen in den Laden. Die Auswahl war irgendwie
unattraktiv und so beschlossen wir, dass wir unsere Reste vernichten werden.
Ich kaufte nur etwas zu trinken und die Señora an der Kasse war heillos damit
überfordert, zweimal 60 Cent zusammenzurechnen, trotz Taschenrechner. Mir fiel
ein, dass ich erst vor Kurzem in einem anderen Blog
(jakobsweginchucks.wordpress.com) gelesen hatte, dass eine Pilgerin hier vor
wenigen Wochen Ähnliches erlebt hatte. Die Señora wirkte nicht so, als
verrechne sie sich absichtlich und so war ich ihr dann auch nicht böse. Wir
setzten uns auf die Treppe vor einen Pensionseingang und waren so wenigstens
etwas vor dem Regen geschützt. Es liefen mehrere Katzen herum und zwei von ihnen
pilgerten zwischen uns und einer spanischen Gruppe hin und her, in der
Hoffnung, etwas Wurst abgreifen zu können.
Da Johannes noch
etwas Pause brauchte, lief ich allein weiter und wunderte mich doch sehr, als
ich nach einigen Kilometern ohne nennenswerten Anstieg auf der Passhöhe des
Erro ankam. Ich habe noch sehr gut in Erinnerung, wie ich mich bei meiner
ersten Reise den Berg hinaufgequält habe, als wir über die Landstraße kamen.
Diese steilen Serpentinen hatten uns alle fertiggemacht. Der Weg durch den Wald
hat hingegen hat sich sanft hinaufgeschlängelt. Ich setzte mich auf eine Mauer,
genoss die Aussicht und die Erinnerungen an damals und unterhielt mich mit
anderen Pilgern, bis Johannes kam. Es ist immer wieder amüsant, wenn man sich
mit jemandem unterhält und erst nach einigen Minuten klärt, wo man herkommt.
Nicht selten kann man dann in die Muttersprache wechseln.
Wiedervereint mit
Johannes machten wir uns an den Abstieg durch den Wald nach Zubiri. Der Weg war
kürzer und viel schöner als mein Horrortrip auf der Landstraße. Damals habe ich
vor Schmerzen nicht einmal sprechen können und heute spaziere ich auf dem Weg.
Aber damals hatte ich natürlich keine 90 Tage zum warmwerden.
In Zubiri setzten
wir uns an den Rio Arga neben die "Puente de la Rabia", der
mittelalterlichen "Tollwutbrücke". Da weder Johannes noch ich an
Tollwut leiden (und auch keine Tiere sind) haben wir es uns gespart, dreimal
unter der Brücke entlangzuspazieren. Wir haben dennoch eine Weile unsere
Fesseln im flachen und kühlen Fluss gekühlt, bevor wir weiter nach Larassoaña
gelaufen sind. Die Strecke zwischen den beiden Orten ist nicht besonders schon,
da man lange eine riesige und ziemlich unansehnliche Magnesitfabrik vor Augen
hat und die Arbeiter da die halbe Landschaft umbegraben haben. Wir liefen eine Weile mit zwei deutschen
Paaren, bis wir sie abhängten, weil sie nicht mehr so schnell laufen konnten.
Glücklicherweise verliefen die letzten Kilometer wieder durch hübschere Natur
und Larassoaña kam bald in Sicht.
Das Hauptgebäude der
öffentlichen Herberge war voll und so durften wir in ein Ausweichhaus. Das war
mir ganz recht, denn ich erinnere mich noch gut an den Schimmel und die
mangelnde Sauberkeit in der Herberge. Das zweite Haus war nur wenige Meter vom
Hauptgebäude entfernt und es standen etwa 20 Etagenbetten in einem Schlafsaal
im ersten Stock. Ich fand ein Buch ("Ein seltsamer Ort zum Sterben"),
dessen deutscher Besitzer offenbar entschieden hatte, dass er es nicht mehr
weiter tragen möchte. Ich legte mich ins Bett und war sofort von der Geschichte
gefesselt. Irgendwann konnte ich mich losreißen, um einkaufen und (im
Haupthaus) kochen zu gehen. Wir kochten uns unspektakulär Nudeln mit Sauce, die
aber gut geschmeckt haben. Die Runde am Tisch im Hof wuchs und wir kamen mit
einem 14- jährigen Mädchen aus Spanien ins Gespräch, die mit ihrem Vater in St.
Jean- Pied- de- Port gestartet ist und jetzt schon traurig ist dass sie nicht
bis nach Santiago laufen können. Sie hat den zweiten Tag hinter sich und ist
schon vom Pilgervirus infiziert. Vermutlich unheilbar. Während ihr Vater in der
Küche das Essen versaute, unterhielten wir uns mit der Tochter und anderen
Pilgern aus aller Welt. Ab und zu bat der Vater seine Tochter um Hilfe.
Amüsiert beobachteten wir eine Unterhaltung zwischen einem Italiener, der einem
Spanier auf italienisch die Bibel erklärte. Der Angesprochene antwortete auf
spanisch. Ab und zu mussten sie überlegen, was das Gegenüber meinte, aber im
großen und Ganzen haben sie sich so unterhalten können.
Der Abend war schön,
ich genieße es sehr, dass so viele andere Pilger auf dem Weg sind und Johannes
kann jetzt auch besser an Gesprächen teilnehmen, da wir uns jetzt meisten auf
deutsch oder englisch unterhalten.
Super!
AntwortenLöschenMehr, mehr, mehr, mehr, mehr möchte ich lesen! :-)
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